Die
etwas andere Sicht: Der Hamburg-Marathon vom Rande der Strecke
(geschrieben von Bärbel
Mende)
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Glauben
Sie ja nicht, nur die
Marathonläufer
haben’s schwer. Ihnen wird immerhin bis (fast) zum Letzten mit
ohrenbetäubendem
Lärm zugejubelt. Hat schon mal jemand an die Probleme der Menschen
gedacht, die Ihre Lieben beim Lauf unterstützen - z.B. Wasser und
Powerdrinks an Stellen reichen, wo es keine Tränke gibt und am
entscheidenden
Kilometer 35 noch mal per Zuruf die allerletzten Kräfte der
Läufer
aktivieren? Wie ergeht es den persönlichen Betreuern am Rande der
Strecke, wie kommen sie schnell von km-10 zu km-25 und tun ihnen am
Ende
auch die Füße weh?
Also ich, und ich spreche aus
Erfahrung,
bin nach dem Marathon fast genauso k.o. wie mein Mann, der läuft
nämlich
mit und ich betreue ihn „nur“. Wie das alles anfing?
Im Übermut der Stimmung des
Jahrtausendwechsels kam mein Mann auf die Idee. Einmal im Leben
Marathon
laufen, auf der Stimmungswoge mitgetragen zu werden, sich selbst
besiegen…
Zu meinem großen Erstaunen fing er wirklich am 2. Januar mit dem
Training an. Das „Laufen“ musste er nicht lernen, schon früher
hatte
er ab und an, aber nicht regelmäßig, ein kleines
Läufchen
an der Elbe gemacht. Aber 42 Kilometer wollen vorbereitet sein. Ich
staunte
nicht schlecht, dass mein Mann so Woche für Woche sein
Trainingsvolumen
steigerte. Diese Phase tangierte mich persönlich noch nicht
direkt.
Ich musste mich nur daran gewöhnen, dass ständig der
Wäscheständer
von seinen Sportklamotten okkupiert wurde. Na ja, und so ganz frisch
roch
es in unserem Trockenraum auch nicht immer.
Als der Tag des Geschehens dann
näher rückte, griff Nervosität um sich und ich wurde nun
ebenfalls angesteckt. In dieser Situation sprach ich den
verhängnisvollen
Satz: „Ich werde Dich an der Strecke unterstützen.“
Aus
meinen Erfahrungen kann
ich
nun sagen, so ein Marathon ist am Rande der Strecke fast genauso
spannend
wie im Läuferfeld. Man kommt mit wildfremden Leuten ins
Gespräch
(„Wer läuft denn aus Ihrer Familie mit?“), tröstet
Läufer,
die aufgeben mussten und die man nun in der U-Bahn trifft („Tut es sehr
weh?“, „Nächstes Jahr läuft es sicher besser!“) und man
fungiert
als Auskunftsbüro („Zum Zieleinlauf fahren Sie jetzt am besten bis
Messehallen“). Die Leute sind alle unheimlich gut drauf und man redet
sogar
miteinander. Ich finde das so erstaunlich, weil dieser Umstand im
norddeutschen
Hamburg gar nicht so üblich ist. Am schönsten fand ich mal
den
Kommentar einer Frau, die ich in einer übervollen U-Bahn traf und
die angesichts des Gedrängels äußerte: „Beim
nächsten
Mal laufe ich!“.
Nach
mehreren betreuten
Hamburg-Marathons
kenne ich „meine Stellen“ an der Strecke nun schon aus dem ff und muss
gar nicht mehr lange überlegen, wie ich fahrtechnisch am besten
zum
nächsten Treffpunkt mit meinem Läufer komme. Besonders
wichtig
ist das erste Auffinden im Läuferfeld. In Hamburg geht das am
besten
auf der Palmaille bei Kilometer-10, finde ich. Hier kann man sich
auf dem grünen Mittelstreifen gut platzieren, da noch nicht so
viele
Zuschauer dabei sind. Das Feld ist bereits etwas auseinander gezogen
und
relativ übersichtlich geworden. Daher ergibt sich ein guter Blick
auf die heran nahenden Läufer. Ich bin immer relativ früh vor
Ort, so dass ich an dieser Stelle auch die führenden Läufer
hautnah
erleben kann.
Ist mein Mann bei 10 km durch und
ich weiß nun, in welchem Block er läuft, schaffe ich es von
dort aus mit der S-Bahn vom Bahnhof Königstraße gerade bis
zum
Hauptbahnhof, um von dort zum Ausgang des Wallringtunnels an der Ecke
zum
Ballindamm zu gelangen. Die Aufregung, ob ich es noch rechtzeitig
dorthin
schaffe, bevor mein Läufer kommt oder nicht, ist immens. Ist er in
diesem Jahr vielleicht schneller? Diesen nervlichen Strapazen sind alle
familiären Streckenbetreuer ausgesetzt. Was mich immer wieder
fasziniert
ist die Tatsache, dass man überhaupt in diesem dichten
Läuferfeld,
das sich förmlich aus dem Autotunnel ergießt, jemanden
herausfinden kann.
Auf dem Weg zum dritten Standort
brauche ich nicht hetzen. Die Läufer müssen die Binnenalster
umrunden und über die Kennedybrücke. Ich gehe nur vom
Glockengießerwall
unter der Eisenbahn/S-Bahn-Brücke hindurch zur Außenalster.
Hier wird die Laufstrecke zeitweilig schmaler, d.h. sie wird für
die
suchenden Blicke der Betreuer etwas übersichtlicher. Mittlerweile
kommen mir einzelne Läufer schon irgendwie bekannt vor. Immerhin
sehe
ich die meisten von ihnen bewusst oder unbewusst nun schon zum dritten
Mal. Den mit dem Wikingerhelm habe ich doch auch schon öfter
gesehen?
Jetzt muss mein Mann sicher gleich kommen.
Weiter geht es! Zurück zum
Hauptbahnhof und in die U-Bahn Richtung Alsterdorf. An der
Hindenburgstraße
ist ungefähr der km-27,5 und eine persönliche Ermunterung
wird
von der Läufern nun doch schon erwartet. Schnell zurück auf
den
Bahnsteig und irgendwie in die übervolle U-Bahn kommen. Retour zur
Station Kellinghusenstraße, hier heißt es umsteigen. Zum
Glück
laufen ja nicht alle Marathonis gleich schnell. Sonst würde es
hier
zum Verkehrskollaps kommen. So fährt ein Teil der Fans noch in
Richtung
Alsterdorf, andere schon via Schlump in Richtung Messehallen zum Ziel.
Ich fahre bis Eppendorfer Baum zum km-37,5. Es ist schwierig, hier
einen
guten Platz zu ergattern. Mittlerweile herrscht an der Strecke eine
andere
Stimmung, als zu Beginn an der Palmaille. Die besten Plätze sind
schon
lange vergeben. Hier gibt es Leute, die feuern die Läufer einfach
so aus Spaß an der Freude an und haben einen Mordsgaudi dabei.
Plötzlich
wird ein Herbert von wildfremden Menschen angefeuert und weiß gar
nicht, woher die ihn kennen. Die Bild-Marathon-Zeitung
veröffentlicht
jedes Jahr die vollständige Läuferliste. Manchmal klappt es,
dass die Zuschauer sehr schnell den echten Namen der Startnummer 14376
finden. Oft reicht es sogar, wenn man einen gängigen Namen in
einen
Läuferpulk ruft. Klaus oder Petra laufen sicher mit und freuen
sich
mächtig über die Anfeuerung.
Für meine persönliche
Aufgabe ist dieser Streckenabschnitt immer die Hölle. Auch noch
aus
der zweiten Reihe einen bestimmten Läufer rechtzeitig zu erkennen
und sich in diesem Tohuwabohu bemerkbar machen, ist eigentlich schier
unmöglich.
Oft hilft dann nur hinterher zu laufen.
So, jetzt ist es fast geschafft!
Schnell in die U-Bahn zum Schlump und dort umsteigen in Richtung
Messehallen.
Wenn ich mich gut durch die Menge schlage und den richtigen Ausgang
erwische,
dann kann ich meinen Mann vielleicht noch beim Zieleinlauf sehen! So,
das
war’s. Spätestens in diesem Moment bräuchte ich eine Dusche
und
möchte mich gern irgendwo hinsetzen und ausruhen. Trinken wurde
mir
unterwegs leider keines gereicht. Aber nix da. Ich muss in die
Petersburger
Straße. Dort gibt es den offiziell eingerichteten Meetingpoint,
wo
sich Läufer und ihre Begleiter, Freunde etc. treffen und in die
Arme
fallen können. Bis es soweit ist, heißt es warten, warten,
warten.
Mein Mann freut sich immer sehr, wenn ich ihn hier treffe. Er findet es
ganz toll, wie oft ich ihn unterwegs erwischt und moralisch
unterstützt
habe. Aber ob er wirklich weiß, was für ein Stress das ist?
Das können nur andere Begleiter ermessen, die das auch für
Ihre
Lieben tun.
Das Irre an der ganzen
Angelegenheit
ist, dass ich mittlerweile selbst angefangen habe zu laufen. Der
Läufervirus
ist äußerst ansteckend. Aber für mich kommt kein
Marathon
in Frage. Warum? Ich möchte doch die Stimmung am Rande der
Strecke
nicht missen!